Naturwissenschaften

Naturwissenschaft – lebendiges Naturerkennen

Jede Zeit stellt an den Unterricht ihre eigenen und besonderen Aufgaben. So ist es heute von grosser Bedeutung, dass die Kinder und Jugendlichen mit der sie umgebenden Natur auf lebendige und kenntnisreiche Weise bekanntgemacht werden – in einer Zeit, in wir die Natur zwar immer detailreicher erforschen, sie aber durch Technik und einseitige Betrachtungsweisen zurückdrängen, schädigen und missachten. Dieser Art der Entfremdung soll in einem dem Menschen und der Natur gemäßen Unterricht begegnet werden.

Der an der Entwicklung des Kindes abgelesene Lehrplan unserer Schule beginnt auf diesem Gebiet mit dem, was man auch heute noch Naturkunde nennen kann: Bildhaft, erzählerisch und mit exakter Phantasie werden in den ersten Schuljahren Tiere, Pflanzen im Zusammenhang mit der Erde und dem Menschen behandelt. Wenn die Kinder älter werden, tritt das erzählerische und bildhafte Element etwas zurück, kausale Zusammenhänge werden zunehmend wichtiger. Dabei wird der grosse Zusammenhang mit dem Erdganzen und dem Menschen immer im Auge behalten. Der grosse methodische Wechsel findet dann mit der beginnenden Oberstufe statt, Naturkunde wird zur Naturwissenschaft. Kausale Verknüpfungen, exakte Funktionslehre und Experimente werden mit den Schüler_innen erarbeitet und durchgeführt. Sie stellen Hypothesen auf, überprüfen sie und lernen die Naturgesetzmässigkeiten kennen. Man merkt es den Schüler_innen an, dass sie die hier geübte Gedankenklarheit schätzen. Trotzdem bleiben wir hier als Unterrichtende nicht stehen. Es ist mit zunehmendem Alter wichtig, den Schüler_innen klar zu machen, dass die Naturwissenschaft eine sich entwickelnde Wissenschaft ist, dass neue Kenntnisse folgen, ja neue Erkenntnisse alte ungültig machen werden. Für den Unterricht an unserer Schule ist es zudem wichtig, die methodische Engführung der heutigen Naturwissenschaft in ihrer Form des reduktionistischen Materialismus nicht mit zu vollziehen. Neben die kausale Betrachtungsweise tritt schon früh und bis zum Ende der 12-jährigen Schulzeit die phänomenologische Methode, bei der Qualitäten sicht- und erlebbar gemacht werden. Das exakt Bildhafte lässt weitere Lebenszusammenhänge aufscheinen, die einen erhellenden, unterstützenden und heilenden Blick auf die Natur ermöglichen: lebendiges Naturerkennen realisiert sich.

So wird auch der Mensch in seiner einmaligen Stellung zur Erde und zum Kosmos als Abhängiger und Verantwortlicher sichtbar: er erkennt die Gesetzmässigkeiten, respektiert die Komplexität, ja das Geheimnis der Zusammenhänge und handelt demnach technisch und kulturell angemessen.

Urs Dietler